Stress in der Schwangerschaft Ein Risikofaktor – Teil 1

 

 

1) Vorwort

Dieser Artikel wird aufgrund des Umfanges in 3 Teile gegliedert sein. Im ersten Teil wird es im Wesentlichen um die direkten Auswirkungen von Stress auf die Schwangerschaft und den Fötus gehen. Der zweite Teil behandelt die Langzeitfolgen, also die Auswirkungen von pränatalem Stress auf das spätere Leben des Ungeborenen. Und im dritten Teil werde ich darlegen, welche nachweislich positiven Effekte eine Schwangerschaftsmassage in Bezug auf Stressabbau haben kann.

 

2) Einleitung

Jenseits der 20. SSW macht sich der größer werdende Bauch immer mehr bemerkbar, die körperlichen Beschwerden nehmen deutlich zu. Da viele der Berufstätigen heutzutage einen Bildschirmarbeitsplatz haben, und die Schwangeren oftmals bis zur 34. SSW einem Job nachgehen, liegen viele, der sich einstellenden Beschwerden im Rückenbereich. So ist es nicht verwunderlich, dass eine nicht geringe Anzahl der Schwangeren, die meine Praxis wegen einer Massage aufsuchen, aus diesem Grunde zu mir kommen.

In vielen Gesprächen, die ich mit meinen Kundinnen führe, erfahre ich dann aber, dass ein nicht unerheblicher Anteil von Frauen, teilweise sogar massiv, unter Stresssymptomen leidet. Obgleich, nach meiner Erfahrung viele Schwangere ein hohes bis sehr hohes Sicherheitsbedürfnis haben, existiert kaum ein Bewusstsein darüber dass zu viel (negativer) Stress (Disstress) durchaus Konsequenzen für die Gesundheit des Ungeborenen haben kann. Gerade in den letzten 10 – 15 Jahren ist dies nämlich Gegenstand intensiver Forschung. Wissenschaftler aus der ganzen Welt befassen sich mittlerweile mit diesem Thema. Aber offensichtlich haben diese Erkenntnisse noch keinen Eingang in die öffentliche Diskussion gefunden, dabei wäre dies von unermesslichem Wert.

Ziel dieses Artikels ist es primär aufzuklären, und den Stand der Forschung auf diesem Gebiet zu beleuchten. Ziel ist es nicht, „Sie“ liebe Leserin zu verunsichern, sondern ein Bewusstsein für die Problematik zu schaffen, und die Schwangeren zu motivieren verantwortungsbewusst mit den Informationen umzugehen; denn wenn ein Bewusstsein hierüber existiert welche Folgen permanenter, negativer Stress haben kann, dann versetzt es die Schwangere in die Lage frühzeitig gegenzusteuern und diesen „Teufelskreis“ zu durchbrechen. Das Angebot zum Stressabbau ist mittlerweile unheimlich vielfältig. Yoga, Meditation, leichte Arten von Sport und vor allem natürlich auch die Inanspruchnahme einer Schwangerschaftsmassage sind adäquate Mittel um hier für Ausgleich zu sorgen und den Stresslevel dauerhaft zu senken.

 

Um welche Art von Stress geht es überhaupt?

Ich möchte hier nicht auf die wissenschaftliche Definition von Stress eingehen, denn hierzu gibt es unzählige Seiten im Internet, die dies mehr oder weniger ausführlich erklären. Es geht sicherlich nicht um die Art von Stress, die wir alle tagtäglich erleben, und die zu unserem Leben dazu gehört. Wenn man beispielsweise im Verkehr feststeckt, sich jemand an der Kasse im Supermarkt vorbei drängelt, oder man aus der Haut fährt, weil der Nachwuchs die Milch über die teure Tischdecke gekippt hat. All das ist nicht gemeint, wenn es um Stress in der Schwangerschaft geht. Überdies kann Stress auch positive Effekte haben. So kann Stress uns beispielsweise dazu motivieren, Höchstleistungen zu erbringen. Und, er wird natürlich sehr individuell erlebt, was für den einen Menschen als belastend empfunden wird, bringt den anderen erst richtig „auf Touren“.

Wenn ich also in diesem Artikel von Stress und seinen Folgen spreche, dann ist damit andauernder Stress gemeint, Stress der zu einer nicht enden wollenden Belastung führt. So wie er häufig am Arbeitsplatz entsteht, wenn uns Deadlines quälen, man von Termin zu Termin hastet und der Workload einfach zu hoch wird und man das Gefühl nicht los wird, das alles nicht mehr schaffen zu können.

Ich habe bereits eingangs auf die Gespräche Bezug genommen, die ich vor jeder Massage führe. In diesen wird mir von Frauen berichtet, dass sie unter Umständen 10 Stunden und mehr arbeiten, Projekte und Mitarbeiter betreuen müssen. Und dass sie teilweise von Kollegen und Vorgesetzten keinerlei Unterstützung erhalten, auch dann nicht, wenn sie diese einfordern. Sie berichten mir dann, dass sie ausgepowert sind und einfach nicht mehr können. Das ist der Stress von dem hier die Rede sein soll, und der mit Sicherheit der Schwangerschaft und der Entwicklung des Fötus nicht zuträglich ist.

Ich möchte allerdings an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass, selbst wenn die werdende Mutter permantem Stress ausgesetzt ist, dies nicht zwangsläufig gesundheitliche Folgen für den Nachwuchs haben muss. Die wissenschaftlichen Studien über dieses Thema belegen aber, dass das Risiko für den Fötus, später an bestimmten Erkrankungen zu leiden, mit der Stressbelastung während der pränatalen Phase steigt.

 

3) Das Stresshormon Cortisol und die Plazentaschranke

Sind wir dauerhaftem Stress ausgesetzt, so schüttet der Organismus Stresshormone (Botenstoffe) aus. Diese setzen bestimmte Anpassungsreaktionen in Gang, damit der Körper auf die entsprechende Belastungssituation reagieren kann. Dies sind vor allem Katecholamine, wie Adrenalin und Noradrenalin, sowie Glukokortikoide, wie Cortisol, von dem hier die Rede sein soll.

Die Plazenta hat nun, neben der Versorgung des Feten mit Nährstoffen und des Gasaustausches auch die Funktion eines, vereinfacht gesagt, Filters. Dieser Filter, die sogenannte Plazentaschranke verhindert die Kontamination des Föten mit bestimmten, für ihn schädlichen, Stoffen. So wird auch der Großteil des mütterlichen Cortisols abgefangen, und es gehen deshalb nur ca. 10% des ausgeschütteten Stresshormons der Mutter auf das Ungeborene über1). Ist nun aber der Cortisolspiegel der Schwangeren dauerhaft! über die Maßen erhöht, so sind bereits diese 10%, die den Fötus erreichen zu viel.

 

4) Stress in der Schwangerschaft und die möglichen Folgen

Die Auswirkungen auf den fötalen Organismus, welche die Wissenschaftler auf die übermäßige Belastung des Fötus mit Cortisol zurückführen, sind vielfältig und werden seit ca. 20 Jahren intensiv untersucht:

 

4.1) Vorzeitige Wehen

Es gilt als gesichert, dass übermäßiger Stress für vorzeitige Wehen verantwortlich sein kann. Verschiedene Studien, die in den vergangenen Jahren durchgeführt wurden scheinen dies zu bestätigen. Die von der Mutter ausgeschütteten Stresshormone spielen hierbei offensichtlich eine Schlüsselrolle. Das hormonelle Geschehen im Organismus ist allerdings äußerst komplex, so löst die Ausschüttung eines einzelnen Stoffes oftmals eine regelrechte Kaskade weiterer Stoffe aus. Bei der Erforschung des Mechanismus, der zu vorzeitigen Wehen führen kann ist aber nun einem Forscherteam2) aus Shanghai offensichtlich im Jahre 2015 ein Durchbruch gelungen. Sie entdeckten, dass die Synthese von Cortisol im Körper, die Bildung von Prostaglandin E2 fördert. Ein Stoff, der bei der Wehentätigkeit von entscheidender Bedeutung ist, und der als Vaginalgel- oder -tablette zur Einleitung der Wehen in der Geburtshilfe eingesetzt wird; er ist unter anderem unter dem Namen Minprostin des Pharmakonzerns Pfizer im Handel.

 

4.2) Unmittelbare fötale Reaktion auf mütterlichen Stress

4.2.1) Bewegungsauffälligkeiten des Ungeborenen

In einer 2014 veröffentlichten Studie der Universitäten Durham und Lancaster, unter der Leitung von Dr. Nadja Reissland3), zeigten die Wissenschaftler mit Hilfe eines neuartigen 4D-Ultraschallscanners das erste Mal, dass die Föten eine unmittelbare Reaktion auf mütterlichen Stress zeigen.

 

Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Nadja Reissland

 

Untersucht wurden Föten im Zeitraum der 24. – 36. SSW. Diese zeigten eine signifikante statistische Häufigkeit sich mit der linken Hand ins Gesicht zu fassen, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung rechtshändig ist. Eine Reaktion mit der rechten Hand, war dagegen eher selten zu beobachten. Und je stärker der Stress war, dem sich die Mütter ausgesetzt sahen, desto häufiger erfolgte die Berührung des Gesichts mit der linken Hand. Die Forscher betonen allerdings, dass die Präferenz sich mit der linken Hand an das Gesicht zu fassen, keine Auswirkung auf eine spätere Linkshändigkeit hätte. Sie führen diese Ergebnisse ebenfalls auf die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol zurück, und betonen, dass noch weiterer Forschungsbedarf notwendig sei, um die näheren Zusammenhänge zu entschlüsseln.

 

4.2.2) Fötaler Herzrythmus

Forscher der Columbia University unter der Leitung von Catherine Monk4) haben in einer Studie festgestellt, dass die Ungeborenen mit einer Steigerung ihrer Herzfrequenz auf mütterlichen Stress reagierten. Hierzu wurden 32 gesunde Schwangere im dritten Trimenon einem psychologischen Test unterzogen, welcher eine Stressantwort der Mütter zur Folge hatte. Sofort zeigte sich eine Steigerung der fötalen Herzfrequenz. Zusätzlich wurde mit Hilfe eines Fragenkatalogs ermittelt, welchem kontinuierlichen Stress sich die Mütter tagtäglich ausgesetzt sahen. Die Ergebnisse zeigten, dass die durch die Stresssituation ausgelöste Erhöhung der fötalen Herzfrequenz mit dem ermittelten Stresslevel der Mütter korrelierte, aber unabhängig von der erhöhten Herzfrequenz und des gestiegenen Blutdrucks der Mütter waren. Sie nahmen dies als Indiz dafür, dass offensichtlich psychologische und keine physiologischen Gründe die Ursache für ihre Beobachtungen waren.

Lesen Sie im nächsten Teil, welche möglichen Spätfolgen ein ständig erhöhter Cortisolspiegel für die Gesundheit des Ungeborenen haben kann.

 

Quellen

1) „Jenaer Forscher untersucht Stress im Mutterleib“
http://www.tlz.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/Jenaer-Forscher-untersucht-Stress-im-Mutterleib-2047055688

2) „Scientists discover exactly how stress causes premature labor“
http://www.haaretz.com/israel-news/science/.premium-1.682857?=&ts=_1493659485723

Originalartikel:
Phosphorylation of STAT3 mediates the induction of cyclooxygenase-2 by cortisol in the human amnion at parturition, Wangsheng Wang et. al, Center for Reproductive Medicine, Renji Hospital, School of Medicine, Shanghai, Jiao Tong University, Shanghai, Journal: Science Signaling, 27 Oct 2015: Vol. 8, Issue 400, pp. ra106

3) Laterality of foetal self-touch in relation to maternal stress

Dr. Nadja Reissland, Ezra Aydin, Brian Francis, Kendra Exley, Journal Laterality:Asymmetries of Body, Brain and Cognition, Volume 20/2015

4) Effects of Women’s Stress-Elicited Physiological Activity and Chronic Anxiety on Fetal Heart Rate, Monk, C., Myers, M.M., Sloan, R.P., Ellman, L.M., and Fifer, W.P. (2003). Developmental and Behavioral Pediatrics, 24(1), 32-38.