Stress in der Schwangerschaft Ein Risikofaktor – Teil 2

 

1) Einleitung

In diesem Teil der Reihe „Stress in der Schwangerschaft – Ein Risikofaktor“ werden die Auswirkungen von pränatalem Stress beleuchtet, welche dieser auf das spätere Leben und die Gesundheit eines Menschen hat. Der aktuelle Stand der Forschung kann dabei leider nur angerissen werden, da dieses Thema mittlerweile sehr intensiv beforscht wird und infolge dessen eine Vielzahl an Veröffentlichungen erschienen ist. Durch die teils spektakulären Forschungsergebnisse der letzten Jahre rückt die pränatale Zeit immer mehr in den Fokus, wenn es darum geht zu ergründen, warum wir für die eine Erkrankung eine stärkere für die andere eine weniger starke Disposition haben.

Im ersten Artikel, der in meinem Blog erschienen ist, „Was macht Schwangerschaftsmassage besonders“, ging es unter anderem um das psychische Erleben des Ungeborenen, und darum wie wichtig die frühen Erfahrungen für einen Menschen im Mutterleib sind. Bezieht man die Erkenntnisse der Pränatalpsychologen mit ein, und schaut man sich die Erkenntnisse der letzten 20 – 30 Jahre in Ihrer Gänze an, welche die Forschung in Bezug auf die pränatale Zeit zu Tage gefördert hat, so muss man konstatieren, dass die ersten 9 Monate unseres Lebens die prägende Zeit für jeden von uns sind. Es mag etwas pathetisch klingen, aber gerade diese 9 Monate sind für mich das, was die Faszination Leben ausmacht.

 

2) Cortisol un die Folgen für die fetale Hirnentwicklung

Projekt „BrainAge“1) des Universitätsklinikums Jena

Seit einigen Jahren wird am Universitätsklinikum Jena unter der Federführung von Prof. Schwab2) die multinationale Langzeitstudie BrainAge3) durchgeführt. Diese untersucht die Langzeitfolgen von mütterlichem Cortisol auf das ungeborene Kind. Im Fokus steht dabei die durch das Cortisol hervorgerufenen Veränderungen im fötalen Gehirn, und des damit einhergehenden Risikos für den ungeborenen Menschen im späteren Leben an bestimmten Erkrankungen zu leiden.

Wie bereits im ersten Teil erwähnt, geht das mütterliche Cortisol nicht 1:1 auf den Fötus über. Lediglich ca. 10% erreichen das Ungeborene, der Rest wird von der Plazentaschranke abgefangen. Aber bereits diese 10% haben, bei einer dauerhaften, ständig erhöhten Konzentration an Cortisol, erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung des kindlichen Gehirns. Ursache für ein erhöhtes Cortisollevel kann neben dauerhaften, negativem Stress aber auch eine Mangelernährung sein.

Cortisol gehört zu den sogenannten Glucocorticoiden; diese werden Frauen in Form von Betamethason bei drohenden Frühgeburten verabreicht. Betamethason hat eine schnellere Reifung der Lungen des Ungeborenen zur Folge, was die Überlebenswahrscheinlichkeit von Frühgeburten signifikant erhöht. Die Gabe von Betamethason stellt somit eine wichtige, weil lebensrettende Therapie dar, so Prof. Dr. Schwab in einem Artikel. Allerdings ist die Gabe dieses Medikaments unter Umständen mit einem entscheiden Nachteil verbunden; denn diese Stoffe (Glucocorticoide) tragen ebenfalls zu einer schnelleren Entwicklung des Gehirns bei. Betroffen davon ist vor allem der Hippocampus4). Hier kommt es zu einer Veränderung der Glukokortikoidrezeptoren.

Dies hat eine verstärkte Cortisolausschüttung und eine höhere Stressempfindlichkeit im späteren Leben zur Folge.“(Intrauterine Programmierung von Störungen der Hirnfunktion im späteren Leben, , Klinik für Neurologie, Friedrich-Schiller-Universität, Jena, Deutschland, Priv.-Doz. Dr. Matthias Schwab, Arbeitsgruppe «Fetale Hirnentwicklung und Programmierung von Erkrankungen im späteren Leben»).

Durch den erhöhten Cortisollevel während der Schwangerschaft nimmt der Organismus quasi an, dass es sich hierbei um den Normalzustand handelt, und wird deshalb auch im späteren Leben mehr Cortisol bilden. Das in der Entwicklung befindliche Gehirn, wird also auf eine erhöhte Ausschüttung dieses Stresshormons programmiert.

Die oben dargestellten Erkenntnisse konnte die Forschergruppe durch EEG Messungen bei Schafföten nachweisen. Der sogenannte Traumschlaf entwickelt sich nämlich normalerweise erst im letzten Drittel der Schwangerschaft über mehrere Wochen. Die Messungen ergaben aber, dass nach Verabreichung von Betamethason dieser allerdings innerhalb von 2-4 Tagen quasi eingeschaltet wurde, so Prof. Dr. Schwab. was ein deutliches Anzeichen für die beschleunigte Reifung des Gehirns ist. Außerdem trat eine signifikante Änderung der Schlafstadien ein. Ein typisches Zeichen für Depression im späteren Leben.

Man hat festgestellt, dass Kinder, die in der pränatalen Phase erheblichen Konzentrationen an Stresshormonen ausgesetzt waren, sei es durch mütterlichen Stress, oder die Gabe von Bethametason, im späteren Leben eher dazu neigen an Depression zu erkranken oder Verhaltensauffälligkeiten wie ADHS5) zu entwickeln. Außerdem, so Dr. Thorsten Braun3)6) von der Charité in Berlin haben Tierversuche gezeigt, das zufiel Stresshormone während der Schwangerschaft Erkrankungen wie Bluthochdruck, Herzerkrankungen und Diabetes im späteren Leben begünstigen können.

 

3) Pränataler Stress und die Telomere

Kürzlich ist ein aufsehenergender Artikel7) in der Zeitschrift Neuropsychopharmacology des Springer Verlages erschienen. Die Psychologin Tabea Send (Zentralinstitut für seelische Gesundheit, Mannheim) beschreibt in diesem Artikel die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit, den Einfluss von pränatalem Stress auf eine bestimmte DNA Sequenz, den sogenannten Telomeren8), des ungeborenen Kindes.

Telomere sind die nicht kodierenden, einzelsträngigen Enden der Chromosomen. Die Telomere sind Strukturelemente der DNA, die für ihre Stabilität verantwortlich sind. Mit jeder Zellteilung verkürzen sie sich, bis schließlich eine kritische Länge unterschritten wird, und die Zelle stirbt“, http://flexikon.doccheck.com/de/Telomer

Da sich die Telomere im Verlauf unseres Lebens ständig verkürzen, nutzen Wissenschaftler ihre Länge als biologischen Indikator für den Alterungsprozess. Man weiß seit geraumer Zeit, dass Umwelteinflüsse, wie Ultraviolettstrahlung und oxidativer Stress zu einer Verkürzung der Telomere führen können. Ebenso ist bekannt, dass bei gewissen körperlichen, sowie psychischen Störungen, wie beispielsweise schwerer Depression oder posttraumatischer Belastungsstörung, verkürzte Telomere vorliegen. Einige frühere Studien ließen bereits vermuten, dass ein Zusammenhang zwischen pränatalem Stress und der Degeneration der Telomere vorliegen könnte.

Die aktuelle Studie von Tabea Send et al erhärtet nun diese Vermutung früherer Untersuchungen. Hierzu maßen sie die Telomerlänge von 319 Neugeborenen und 318 Müttern. Mit Hilfe von Interviews, welche sie mit den Müttern führten, konnten sie herausfinden in welchem Maße diese in der Zeit der Schwangerschaft Stress ausgesetzt waren und ob sie eventuell unter Depression litten.

Für die genetischen Analysen (Bestimmung der Telomerlänge) wurden Speichelproben der Mütter, sowie Nabelschnurblut (kurz nach der Entbindung entnommen) herangezogen.

Die Ergebnisse zeigten, dass Kinder von Müttern, welche pränatalem Stress ausgesetzt waren, signifikant kürzere Telomere hatten. Erlebten die Mütter jedoch Stress reiche Phasen in ihrem Leben bevor sie schwanger wurden, so hatte dies offensichtlich keinen Einfluss auf den Fötus. Außerdem, so fanden die Forscherinnen heraus, hatte der während der Schwangerschaft erlebte Stress keinerlei Einfluss auf die Länge der eigenen, also mütterlichen, Telomere. Eine weitere bemerkenswerte Erkenntnis aus den Untersuchungen ist, dass es einen geschlechtsspezifischen Unterschied der Telomerlänge bei den Neugeborenen gab. So hatten Mädchen stets längere Telomere als Jungen.

Obwohl die genaue Bedeutung der beschriebenen Veränderung der Telomere für die spätere Gesundheit noch unklar ist“, so Tabea Send, „unterstreichen unsere Erkenntnisse die Notwendigkeit, gerade Frauen, die Stress während der Schwangerschaft ausgesetzt sind, besonders zu unterstützen.“

 

Die beiden Artikel, Teil 1 und 2. zu „Stress in der Schwangerschaft – Ein Risikofaktor“ können nur einen Einblick in das Themengebiet geben. Es gibt mittlerweile eine unzählige Anzahl an Artikeln und Studien zu diesem Thema. Falls Sie sich für dieses Thema interessieren kann ich Ihnen, den als pdf erschienen, Übersichsartikel von Prof. Dr. Sonja Entringer6), „Frühe Stresserfahrungen und Krankheitsvulnerabilität“ empfehlen. Hier finden Sie einen guten Üblerlick über den Forschungsstand sowie weitere Quellen zu Originalartikeln.

Quellen

1)

Das Projekt BrainAge ist ein mulitnationales Projekt, welches die Auswirkungen von pränatalem Stress auf die fötale Gehirnentwicklung untersucht. Nähere Informationen unter www.brain-age.eu und unter https://www.uni-jena.de/Mitteilungen/Archiv/Archiv+2_2015/PM150915_prenatalstress.html (Symposium Symposium „Prenatal Stress and Brain Disorders in Later Life“ vom 20.-22. September 2015)

2)

Prof. Dr. med. Matthias Schwab, Leitender Oberarzt der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Jena; Forschungsschwerpunkte: Fetale Hirnentwicklung und Programmierung von Krankheiten im späteren Leben , Klinik für Neurologie, Friedrich-Schiller-Universität, Jena, Deutschland
http://www.neuro.uniklinikum-jena.de/Mitarbeiter/OA+Prof+Dr+Schwab.html

3)
„Stress in der Schwangerschaft hinterlässt Spuren im Babyhirn“
http://www.spiegel.de/gesundheit/schwangerschaft/stress-in-der-schwangerschaft-hinterlaesst-spuren-im-gehirn-a-928555.html
„Jenaer Forscher untersucht Stress im Mutterleib“
http://www.tlz.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/Jenaer-Forscher-untersucht-Stress-im-Mutterleib-2047055688
Originalartikel:
„Intrauterine Programmierung von Störungen der Hirnfunktion im späteren Leben“
Gynäkolgische Geburtshilfliche Rundschau 2009;49:13–28

4)
Hippocampus: Der Hippocampus ist eine zum limbischen System gehörende Struktur, die vor allem an der Gedächtnisbildung beteiligt ist. Vergl. DocCheckFlexikon unter http://flexikon.doccheck.com/de/Hippocampus.

5)
ADHS: Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätssyndrom

6)
In diesem Zusammenhang sei das Bundesgesundheitsblatt 2016 · 59:1255–1261 DOI 10.1007/s00103-016-2436-2 empfohlen, Online publiziert:7. September 2016 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 mit dem Titel: „Frühe Stresserfahrungen und Krankheitsvulverabilität“ von Prof.Dr. Sonja Entringer, Institut für Medizinische Psychologie, Charité Universitätsmedizin Berlin, Deutschland

7)
Maternal Stress during pregnancy could influence the biological clock for aging, Heidelberg | New York, 11 April 2017, https://www.springer.com/gp/about-springer/media/research-news/all-english-research-news/maternal-stress-during-pregnancy-could-influence-the-biological-clock-for-ageing/12214810

Als Artikel erschienen in Neuropsychopharmacology DOI:10.1038/npp.2017.73, Titel: Telomere length in newborns is related to maternal stress during pregnancy, Autor: Tabea Send et al (2017)

8)
Für die Entdeckung der Telomere wurde 2009 der Medizin Nobelpreis an die Forscherinnen Elizabeth Blackburn, Carol Greider und den Forscher Jack Szostack verliehen.